Frau Taybet Inan wurde in der kurdischen Stadt Silopi durch türkische bewaffnete Kräfte erschossen, wo der türkische Staat die Ausgangssperre verfügt hat. Nur unter dem Druck der Weltöffentlichkeit erlaubten sie den Verwandten von Frau Taybet, sie nach sieben Tagen “nach Hause” zu nehmen.

Taybet Inan

Frau Taybet Inan

Meine Mutter

Als sie meine Mutter erschossen haben, schrien die Nachbarn, die das Erschießen gesehen haben, von allen Seiten! Sie war doch ihre Nachbarin, sie sind zusammen aufgewachsen, tanzten zusammen auf den Hängen und als das Fest Newroz kam, sprangen sie gemeinsam über das Feuer auf dem Platz, wenn jemand starb, trauerten wir gemeinsam. Als ich von den Schreien begriffen habe, dass meine Mutter erschossen wurde, wollte ich die Tür öffnen und auf die Straße gehen, wo meine Mutter lag, die Verwandten haben mich aufgehalten, dass ich noch ein Kind war. Mein Onkel war ein Mann, den konnten sie nicht aufhalten, er öffnete die Tür und rannte zu Mutter. Mich haben sie mit aller Kraft gehalten und bemühten sich, meine Augen mit den Händen zuzuhalten, damit ich nicht sehe, wie sie da im Blut lag. Ich war außer sich, sie hielten meine Hände um den Hals, die Brust, und ich habe vergeblich versucht, mich zu befreien um zur Mutter zu laufen. Der Schrei war lauter, ich Begriff, dass sie auch den Onkel erschossen haben, der zur auf der Straße liegenden Mutter gelaufen ist…Es war der Bruder meiner Mutter, ihm war es egal, was passieren kann…In einem Augenblick bewegte ich mit dem Kopf und befreite mich mit einem Auge aus der schreienden Hand…und sah, wie mein Onkel ein paar Schritte von meiner Mutter im Blut am Boden lag…

Ich war erschöpft, hatte keine Kraft mich zu bewegen und plötzlich saß ich auf dem Boden. Die Beine trugen mich nicht mehr…Nachbarn, die mich mit Verwandten festgehalten haben, ließen mich, damit ich am Boden sitze, es war nicht nötig mich zu halten, sie wussten, dass ich durch die halboffenen Tür die Mutter und den Onkel sah. Nach einer Weile hat sich der Onkel, Blut überströmt, angefangen zu bewegen und zur halboffenen Tür zu kriechen. Er hat sich angenähert und die Nachbarn, wie verrückt, sind zu ihm gerannt, fassten ihn an den Händen und zogen ihn ins Haus … Es war schrecklich schnell …ein paar Schritte und so schnell, die Kugeln flogen um sie herum, haben niemanden getroffen. Den Onkel haben sie ins Haus gezogen. Vor mir an der Tür, wo ich ohnmächtig sass, lag mein Onkel, der mir beigebracht hat ein Pferd zu reiten, bei Newroz hat er mich gelehrt, das Feuer zu machen, er lehrte mich Fische zu fangen, bei langen Nächten hat er mit zärtlicher Stimme unsere Geschichten erzählt, mein Onkel lag im Blut und bewegte sich nicht. Sie zogen ihn, wie ein totes Tier. Ich erinnere mich, wie mein ganzer Körper zitterte und ich weinte und weinte…

Die Mutter lag auf der Straße, hat sich am Anfang noch bewegt, aber mit der Zeit haben die Bewegungen nachgelassen…

Am nächsten Tag jeder, der noch ein geladenes Handy hatte, hat den Gouverneur, die Anwälte, die Polizeistation, die Kaserne, allen, von denen die Unseren versucht haben, die Rufnummer zu bekommen. Sie haben sie bekommen und riefen an, haben nur um eine Sache gebeten: die Mutter von der Straße nehmen zu dürfen…Als sie es dennoch nicht erlaubten, baten sie wenigstens um das Fortjagen der Geier und hungriger Hunde vom Körper meiner Mutter … Was hat meine Mutter gefühlt? Hat es ihr sehr weh getan? Bestimmt ja. Ich sprach niemals darüber, wie sie mich liebte … wie sie mich auf den Arm nahm und an ihre Brust drückte, ich kann es nicht beschreiben, die ganze Welt hat sie mir damit gegeben, und in den Augenblicken war ich im Paradies in den Armen meiner Mutter. Das war die Liebe einer Mutter, nicht wahr?

Die Mutter lag da noch ganze sieben Tage und ich habe sie von der Stelle, wo ich am Boden sah, nicht verlassen, nicht nur mit den Augen … Niemand von uns hat geschlafen, nicht nur ich, wir hatten Angst, dass jeden Augenblick die hungernden Hunde oder Geier zurückkehren, die Unsrigen haben sie mit dem Schrei fortgejagt, haben brennende Scheite nach ihnen geworfen, oder Geräusche mit Kupfergefäßen gemacht, um sie von meiner Mutter fortzujagen, sie lag dort 100-150 Meter von uns entfernt und wir siechten im Haus dahin …

 

Frau Taybet Inan liegt dort auf der Strasse

Der Staat hat uns so viel Schmerz zubereitet, Schmerz, den ein Mensch ohne Seele, der anderen Schmerzen zufügen kann… Sieben Tage, sieben Tage lg dort meine Mutter mitten in der Straße und wir zu Hause, konnten, durften nicht zu ihr….

Mensch kann kein Mensch sein, Mensch darf kein guter Mensch sein, sie haben von mir ein Stück Mensch herausgerissen…

Als wir nach sieben Tagen meine Mutter nach Hause bringen durften, war sie zum Stein erstarrt, in der Hand hielt sie ein Stück ihres Tuches, es musste sehr weh tun, nicht wahr? Ihc küsste ihre Hände, dachte, sie nimmt mich wieder auf den Arm und drückt mich an ihre Brust … Ich habe ihre Hände geküsst und bat sie um Verzeihung, falls ich mal nicht artig war … Ihr Blut war erstarrt, auf der einen Seite hatte sie Schlamm, das war die Seite, mit der sie auf den Boden gefallen ist, als sie sie erschossen haben, die Kleider waren voll Blut aufgesaugt und das Blut ist wie ein Stein erstarrt, das war ihr Blut, das war Mutters Stein…

Mutter hat nicht mehr so gerochen, wie sonst. Sie roch nach Blut und Erde. Auch ihre Haare waren erstarrt, schmutzig, die Allah-Anbeter haben ihr die Seele aus den Tiefen ihres Wesens herausgerissen…

Ihre Augen blieben geöffnet, sie schaute uns an, mit dem Gesicht in der Richtung unseres Hauses, ihre Knie waren gebeugt, damit sie die Kraft hat zum Gang zu uns Sitzenden in der Tür unseres Hauses…
Meine Mutter …ihr habt meine Mutter getötet. Habt ihr auch Kinder? Ich weiß nicht, sie sagen nicht, wie es weh tut….Das ist eine Abartigkeit!

Sieben Tagen, sieben Tage blieb meine Mutter in der Kälte, Schnee, draußen auf der Straße. Das was am meisten weh tut, ich weiß nicht, wie viele Stunden sie in der Kälte dort draußen noch gelebt hat. Ich sage zu mir, sie sollte sofort nach dem Schuss sterben. Das sage ich von meiner Mutter, weißt du …

Ihr habt meine Mutter getötet …