WIR KÖNNEN MIT HARTEN WIDERSTANDSKÄMPFEN RECHNEN UND ES LIEGT AN DEN KURDEN, OB ES NUR EINE ANTWORT AUF DIE LETZTEN ANGRIFFE SEITENS DER TÜRKEI WIRD, ODER DIE REVANCHE FÜR ALLE BISHER ERLITTENE SCHMACH UND UNTERDRÜCKUNG.

 

 

Nach den kürzlichen Angriffen des IS auf türkischem Gebiet, schaut es nach einem Ende des Waffenstillstandes aus. Aber nicht dem, in die Augen springenden, zwischen dem Regime von Erdogan und dem IS (besser gesagt ihrer Allianz), sondern dem (eher illusorischen) zwischen der Türkei und den effektivsteren Gegnern des islamischen Staates, den Kurden. Er endet 3 Jahre nach der Ankündigung des Waffenstillstandes und nach 3 Jahren seines Brechens seitens des türkischen Staates. Nach 3 Jahren der Provokation sieht es nach einer Wiederaufnahme der Kämpfe zwischen den türkischen Besatzungseinheiten und kurdischen Einheiten aus.

1) Wie schaut diese Eskalation aus?

Im Rahmen des “Kampfes gegen den Terrorismus” hat die Türkei einen kleinen grenzüberschreitenden Angriff gegen den IS gestartet, es gab ein paar Flugangriffe und es wurden ein paar angebliche IS – Mitglieder und Sympathisanten verhaftet – und bitte Achtung jetzt – gleichzeitig begann ein massives Bombardieren der Kurden, nicht nur in der Türkei sondern vor allem im Nordirak, das auch in diesen Augenblicken weitergeht. Gleichzeitig hat in der Türkei eine große Verhaftungswelle wirklicher und angeblicher prokurdischer Aktivisten und auch lokaler Politiker begonnen.

Medien, die mit der Haltung der türkischen Regierung in der Kurdenfrage schon länger nicht übereinstimmen sind derzeit in der Türkei blockiert.

2) Was hat zu der derzeitigen Eskalation des türkischen Staates gegenüber den Kurden geführt?

Es sind eindeutig die kurdischen Erfolge im Kampf gegen den IS, auf der irakischen sowie syrischen Front, trotz der direkten Unterstützung des IS seitens der Türkei.

Der letzte Tropfen war dann für Erdogan der historische Sieg der (vorwiegend) kurdischen Partei HDP bei den letzten Wahlen.

 

 

3) Was ist der Eskalation unmittelbar vorangegangen?

Spätestens seit der Herbstoffensive des islamischen Staates gegen den Kanton und die Stadt Kobane im Westkurdistan/Nordsyrien hat sich diese Terrororganisation klar als ein von der Türkei gegen die syrischen Kurden angeheuerter “Pistolero” herauskristallisiert.

Schon seit dem Beginn des Wirkens von IS und anderer terroristischer Organisationen in Syrien ist die türkische Grenze für die Djihadisten frei passierbar.
Die Türkei hat zehntausenden Djihadisten ermöglicht über diesen” freien” Grenzübergang ins Land zu kommen und sie hat sie bewaffnet und versorgt sie.
Im Gegensatz dazu hat die Türkei durch ihre Blockade (die nur für die Kurden galt) die Belagerung der sich wehrenden Stadt Kobane vollständig gemacht. Und sie hat den Djihadisten wiederholt erlaubt den Kurden vom türkischem Gebiet aus in den Rücken zu fallen!

Die Türkei hat die Islamisten weiter durch ihren Nachrichtendienst unterstützt und wenigstens einmal würde die Evakuierung eingekesselter Kämpfer( von Tell Abyadu/Gre Spi) über den türkischen Grenzübergang ermöglicht.
Im Gegensatz zu ihrem konkreten Handeln ist jetzt die türkische Rhetorik scharf gegen den IS gerichtet. Gleichzeitig mit ihr wurde an der türkisch-syrischen Grenze die türkische Armee in Stellung gebracht und für eine Intervention “gegen den islamischen Staat” vorbereitet.

In Wirklichkeit ist das einzige Ziel der Türkei das IS -Grenzgebiet zu okkupieren und so den Kurden bei der Vereinigung der Kantone Efrin mit dem Kanton Cizire und Kobane wortwörtlich im Wege zu stehen – um vorausblickend dem gesamten Kurdistan den Zutritt zum Meer zu vereiteln. Dies würde die Kurden, vor allem aus dem “Irak”, von der existentiellen Abhängigkeit von der Türkei befreien, als Transitgebiet für ihr Erdöl und andere Reichtümer.

Vor ein paar Tagen gab es auf türkischem Gebiet in der Grenzstadt Pirsus (Suruc) einen Terroranschlag, der dem IS angerechnet wurde, aber höchstwahrscheinlich wurde er vom türkischem Geheimdienst koordiniert. Die Opfer waren hauptsächlich junge

Kurden, die beim Wiederaufbau von Kobane helfen wollten!

Schließlich gab es vorgestern einen Schusswechsel zwischen der IS und türkischen Soldaten, bei der ein Soldat gefallen ist – und Achtung – es ging um die Inszenierung eines “casus belli”, den Erdogan schon vor einem Jahr in einem Telefongespräch, das an die Öffentlichkeit gelangt ist, mit dem Geheimdienstleiter, erörtert hat.

4)Was hat die Eskalation des türkischen Staates ermöglicht?

Die jetzige Kriegshandlung braucht internationale und heimische Unterstützung.

Mit internationaler Unterstützung ist vor allem die NATO, in erster Linie die USA, gemeint. Das wurde durch das Abkommen zwischen Erdogan und der Obama-Administration bezüglich der Benutzung von Luftwaffenstützpunkten (vor allem Incirlik, aber auch anderer) erreicht, dabei hat Obama die Kurden de facto im Interesse seines Kampfes gegen den IS, oder besser gesagt um die US-Interessen im Nahen Osten zu wahren, “verkauft”.
Gleichzeitig ist es wahrscheinlich zu Kompromissen bezüglich des syrischen Bürgerkrieges und seiner Kampfparteien gekommen.

Die heimische und öffentliche Unterstützung sichert das schon klischeehafte Konzept des “Kampfes gegen den Terrorismus”. Die PKK – Kurdische Arbeiterpartei – wird selbstverständlich durch den türkischen Staat als terroristisch betrachtet.
Dabei ist das Ausmaß, egal wessen, das die PKK während des Krieges verursacht hat, nicht zu vergleichen mit dem Ausmaß der türkischen Verbrechen gegen die Kurden während des Krieges und während der blutigen Jahrzehnte, bevor die PKK überhaupt gegründet wurde – es handelt sich daher um eine scheinheilige Haltung.

Als Reaktion auf den Angriff in Suruc/Pirsus und die Tötung des türkischen Soldaten durch den terroristischen islamischen Staat hat die Türkei dem Terrorismus den Kampf angesagt, es handelt sich dabei aber um ganz andere “Terroristen”! (siehe Punkt 1)

5) Die Entwicklung in den nächsten Tagen und Wochen
Die erfahrenen kurdischen Guerillas aus dem “türkischen” Kurdistan haben sich als die besten Bodenalliierten der “irakischen” Kurden erwiesen.

Sie waren es, die die Mehrheit der Yeziden aus Sinjar gerettet haben, bevor sie von den “syrischen” Kurden aus der Umklammerung des IS befreit wurden. Und es sind auch sie, die die lebenswichtige Front um Mexmur und Kerkuk gehalten haben und halten.

Es ist sicher kein Zufall, dass gerade zum Zeitpunkt der türkischen Angriffe auf PKK – Stellungen im Irak, es zu neuen Angriffen seitens der IS auf diesen Frontabschnitten gekommen ist.

Für die weitere Entwicklung ist aber die Frage wichtig ob dieses Engagement im “Irak” (und auch in “Syrien”) den “türkischen” Kurden nicht zu viel Kräfte geraubt hat und ob sie noch immer einen vollwertigen Aufstand oder entsprechende Gegenschläge gegen die türkischen Angriffe führen können?

Wahrscheinlich nicht, weil Murat Karayilani (PKK) schon vor einem Monat der Türkei mit Krieg gedroht hat, wenn sie den westlichen “syrischen” Kurdistan angreift.
Gleichzeitig ist die Schwächung des IS (fehlende neue Offensiven) mit keiner gesteigerten Aktivität der Guerillakämpfer verbunden – man kann also annehmen, dass sie auf den Kampf anderswo, wo sie gebraucht werden, vorbereitet sind -das heißt in der Türkei.

Die Türkei hat das “Spiel” entfacht und der Ball ist nun im kurdischen Feld – der Waffenstillstand, der vor 3 Jahren seitens des PKK erklärt wurde ist nun seitens der Türkei (ihren Worten nach) begraben worden und die Stimmen die zum Gegenschlag und zum Kampf gegen die Unterdrückung rufen mehren sich.

Die Stimmen, nach einer friedlichen Lösung rufend, schweigen, fehlen.

Die Jugend ist schon auf die Straße gegangen, nicht nur in ganz Kurdistan, aber auch überall in der Türkei, wo es eine kurdische Comunity gibt ( in Istanbul selber sind es 3 Millionen!) – aber gleichzeitig sind die jetzigen Straßenkämpfe nichts dagegen, was passieren wird, wenn die Kurden wirklich zu einem Aufstand aufgerufen werden.

Die größte Chance auf einen Frieden zwischen den Kurden und den Türken, die liberal volksdemokratische Partei HDP, die für diesen Frieden eintritt, wird selber zur Zielscheibe einer brutalen Repression, genauso wie alle anderen.

Das ist mehr als ein klares Signal der Haltung von Erdogans Regierung. Ein sehr begreifliches Signal. Erdogan und viele seiner Minister werden vor einer strafrechtlichen Untersuchung wegen vieler, hauptsächlich ökonomischer Verbrechen, nur durch ihre Immunität geschützt.

Also brauchen sie den Krieg, oder wenigstens vorgezogene Wahlen unter Bedingungen, wo sie siegen können und keine Oppositionskoalition entstehen kann, die entschlossen wäre sie der Immunität zu entledigen.

Wir können mit harten Widerstandskämpfen rechnen und es liegt an den Kurden, ob es nur um eine Antwort auf die letzten Angriffe seitens der Türkei geht, oder ob es die Revanche für alle bisherigen erlittene Schmach und Unterdrückung ist.

Das würde einen Endkrieg für die Unabhängigkeit Kurdistans bedeuten – nur würde er jetzt nicht nur in den Bergen geführt werden, sondern die ganze Türkei würde brennen.

Yekta Uzunoglu – Ondrej Hatas