Der Fall Uzunoglu: Das lange Warten auf einen fairen Prozess

11. 4. 2007

Von Jaroslav Spurny

Yekta Uzunoglu with Václavem Havlem

Der ehemalige Präsident Vaclav Havel (li.)gratuliert dem kurdischen Arzt, Publizisten und Unternehmer Yekta Uzunoglu zur Verleihung des Frantisek-Kriegel.Preisses für Zivilcourage.

 

Der Fall des Deutsch-Kurden Yekta Uzunoglu zeigt die Grenzen des tschechischen Rechtswesens auf

 

Nach zwölf Jahren steht es um den kurdischen Arzt Yekta Uzunoglu doch besser als zu Beginn. Vergangene Woche wurde er vor Gericht zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Vor zwölf Jahren wurden ihm zudem Erpressung, Betrügereien und Vorbereitung eines Mordes vorgeworfen.
Die Verurteilung von Yekta Uzunoglu setzt einen schockierenden Punkt hinter einen Prozess, der sich zu einem der größten Fauxpas in der kurzen Geschichte des tschechischen Justiz- und Polizeiwesens entwickelte.

Wer am Abend nach der Urteilsverkündung die Fernsehnachrichten verfolgte, bekam es kompakt und nachrichtentechnisch ausgewogen präsentiert: Ein Gericht spricht den Angeklagten für  „schuldig“ und verhängt eine Bewährungsstrafe, obwohl der Kurde von Anfang seine Unschuld beteuert hatte. Dem Zuschauer wird noch ein Satz aus dem Jahr 1994 präsentiert. Der damalige Polizeiinspektor sagte vor laufender Kamera: „Wir haben bei ihm während der Hausdurchsuchung eine Plastiktüte mit Material gefunden, das Semtex ähnelt.“

Kein Zuschauer – nicht einmal derjenige, der sich noch an den Fall erinnern kann –  dürfte nach so einer Nachricht an der Schuld des Kurden Zweifel haben. Dem Zuschauer wurde jedoch nicht gesagt, dass es sich um eine Plastiktüte mit einer Werbeaufschrift handelte, mit deren Herstellung erst zwei Monate nach der Hausdurchsuchung begonnen wurde. Auch hat er nicht die Information erhalten, dass niemals ein semtexähnlicher Stoff unter den Beweismaterialien gefunden wurde.
Ähnlich wie mit den Fernsehnachrichten verhält es sich mit den Beweisen und den  Anschuldigungen seit Prozessbeginn. Jeder, der den Prozess verfolgte, musste davon ausgehen, dass der Richter Vítěslav Rašík den Angeklagten freisprechen wird. Auch nach dem Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft, mit dem versucht wurde, den Schein einer gut durchgeführten Polizeiarbeit zu wahren. Die Beweismittel waren unbrauchbar geworden, da eine Reihe von ihnen gesetzeswidrig beschafft oder selbst hergestellt wurde.

Ähnlich wie mit den Fernsehnachrichten verhält es sich mit den Beweisen und den Anschuldigungen seit Prozessbeginn. Jeder, der den Prozess verfolgte, musste davon ausgehen, dass der Richter Viteslav Rasik den Angeklagten freisprechen wird. Auch nach dem Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft, mit dem versucht wurde, den Schein einer gut durchgeführten Polizeiarbeit zu wahren. Die Beweismittel waren unbrauchbar geworden, da eine Reihe von ihnen gesetzwidrig beschafft oder selbst hergestellt wurde.

Image des Verbrechers

Aber das Image eines Verbrechers konnte der kurdische Arzt seit seiner Verhaftung (im Gefängnis verbrachte er zweieinhalb Jahre) nicht abschütteln. “ Seine kriminellen Handlungen tragen alle Zeichen des organisierten Verbrechens. Uzunoglu hat mit Waffen und Drogen gehandelt“, schreiben im September 1994 die Zeitungen. Die Information kam von der Nachrichtenagentur CTK. Zugeschickt hatte diese der Polizist Jiri Gregor, der schon bei der Verhaftung des Kurden dabei war. Ein paar Wochen später sah alles wieder anders aus. Uzunoglu dealte weder mit Drogen noch mit Waffen, doch habe er Entführungen und Erpressungen organisiert sowie tschechische Unternehmen hintergangen. Ein paar Monate später lösten sich auch diese Anschuldigungen in Luft auf, am Ende blieb „ nur „ die Folter dreier Türken übrig. Zwei von diesen hatten bald ihre Aussage widerrufen.

Der dritte beharrte jedoch auf seiner Unterstellung bis zum Erscheinen im Gerichtssaal. Dort sagte er klar und deutlich, Uzunoglu wäre nicht an den angeblichen Folterungen beteiligt gewesen. Es gäbe auch keinerlei Beweise, dass er diese aus dem Hintergrund gelenkt hätte. Der Richter sah die geänderte Aussage als Ergebnis der „ gespannten Atmosphäre im Gerichtssaal „ an und erachtete weiterhin die ursprüngliche Aussage als relevant.

Dem allem setzten die unglaublichen Ungereimtheiten während der Beweisführung die Krone auf. Sprechen wir nicht von den Morden, die weder passiert sind, noch geplant wurden, auch nicht von den Betrügereien, aus denen „ geschäftliche Unstimmigkeiten“ mit tschechischen Firmen wurden. Diese Anschuldigungen wurden bereits in den 90 er Jahren von tschechischen Gerichten fallen gelassen. Bleiben wir bei den angeblich bewiesenen Folterungen. Es existiert kein ärztliches Protokoll über irgendwelchen Verletzungen hatte ein Gerichtsgutachter beurteil – anhand von Fotografien. Das angebliche Opfer hatte er nie persönlich untersucht. Schließlich gab er zu, die Fotografien könnten manipuliert worden sein.

Wir könnten einen Beweis nach dem anderen auseinander nehmen, wie es auch vor Gericht geschah – und feststellen, dass es sich um keine 

Beweise handelt. Es bleibt die Frage; Warum hat der Richter, der das auch gehört hat, den Kurden trotzdem für schuldig befunden?

 

Zu viel Unternehmerglück

Uzunoglu ist davon überzeugt, und eine Reihe von Indizien spricht  dafür, dass ihn die Geschäftskonkurrenz liquidiert hat.

Im Jahre 1994 hatte er unternehmerischen Erfolg. Er wurde Vertreter der Firma Skoda in einem geplanten Projekt zur Fertigstellung eines türkischen Elektrizitätswerkes. An der Provision hätte er Hunderte von Millionen verdient. Interesse daran hatte auch die Konkurrenz von Skoda-Export, die in der Türkei von dem letzten kommunistischen Außenminister Johannes repräsentiert wurde.

Bevor Uzunoglu das Geschäft zu Ende bringen konnte, wurde er verhaftet und der Auftrag ging an Skoda-Export. Der Kronzeuge, das angeblich Folteropfer, war ein Freund des Dolmetschers von Johannes. Es gelang nie, irgendeine Verschwörung nachzuweisen, weil auch niemand diesbezüglich Nachforschungen angestellt hat. Und so war es mit allem.

Den Polizisten, der im Fernsehen von Semtex sprach, verklagte Uzunoglu noch im Jahre 1994. Das Ergebnis der gesamten Ermittlungen war die Beförderung des Polizisten auf einen Posten, den er bis heute innehat. Jedwede Beschwerden über das polizeiliche Vorgehen trafen auf das Schweigen der verantwortlichen Behörden. Uzunoglu stellte beispielsweise unmittelbar nach seiner Freilassung aus der Haft fest, dass jemand von seiner Wohnung aus rund 200.000 Kronen vertelefoniert hatte. Die Schlüssel zur Wohnung waren im Besitz der Polizei, die diese bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmt hatte. Der Polizist Gregor, der die Falschmeldung über Uzunoglus Handel mit Drogen und Waffen verbreitete hatte, dient bis heute in einer Eliteneinheit der Polizei. Niemals wurde sein damaliges Verhalten – beispielsweise durch die entsprechende Inspektionsabteilung – überprüft.

Verwunderlich ist auch die Tatsache, dass der Fall unter mysteriösen Umständen vor dem Gericht Prag 4 verhandelt wurde, obwohl er nichts mit dieser Lokalität zu tun hat. Außer vielleicht mit der Tatsache, dass dort bereits seit vielen Jahren die Mutter eines der möglichen Opfer der angeblich geplanten Morde als Richterin arbeitet. Uzunoglu schrieb Beschwerdebriefe an zahlreiche Behörden und Persönlichkeiten. Einige Tage vor der Urteilsverkündung trat er aus Protest gegen die Durchführung des Ermietlungsprozesses in den Hungerstreik. Solidarisch schlossen sich ihm zum Beispiel Vaclav Havel und Zedenek Sverak an Einige Freunde Uzunoglus merkten an, dass der Hungerstreik unnötig wäre und er damit offene Türen einrenne. Die Beweise sprächen für ihn und so blind könne nicht einmal die hiesige Justitia sein.

Offene Fragen

Die Polizei und Justiz haben währen der Ermittlungen viele Fehler gemacht, oft wurde dabei das Gesetz gebrochen. In jedem normalen Land wäre der Angeklagte schon deswegen längst als unschuldig frei gesprochen worden.

Nicht so in Tschechien. Sicher, es ist nicht einfach zuzugeben, dass hinter der Verurteilung Uzunoglus ein essentielles und unerschütterliches Komplott steht, das zwölf Jahre lang überlebte. Unglaublich auch, dass die damaligen kommunistischen Funktionäre offensichtlich zahlreiche Polizisten, Staatsanwälte und Richter beeinflussen konnten. Ein Komplott, das zig Erklärungen von amnesty international über den manipulierten Prozess sowie Proteste zahlreicher Persönlichkeiten, inklusive Politikern, überlebte und sogar einen totalen Beweismangel überstand.

Ob es um ein Verschwörung ging, kann heute kaum noch feststellt werden. Es sei denn, der Fall würde von neuem aufgerollt werden. Aber auch dann kann niemand Uzunoglu die Jahre im Gefängnis und vor Gericht ersetzen, das Geld, welches er in die Anwälte investiert und das, was er durch die unfreiwillige Tätigkeit verloren hatte

Es wird schwierig, diesem Land den Glauben an die Gerechtigkeit wiederzugeben.

Der Artikel erschien auch in dem Wochenmagazin „ Respekt“ .