Kultur Zeitung – Tschechien

Ein Gespräch mit Yekta Uzunoglu (geb. 1953), kurdischem Arzt, Übersetzer, Herausgeber und einem Kämpfer, der sein Leben lang für die Rechte seines Volkes kämpfte, welches in der Gegenwart die einzig effektive Kraft im Kampf gegen den Islamischen Staat ist. Es geht um die Erinnerungen eines Menschen, der den Großteil seines Lebens in Europa gelebt hat, aber Dank seiner Wurzeln im nahen Osten bringt er in sie eine andere Erfahrung und manch andere Sichtweise auf die geschichtliche Realität, als die, die wir aus der Schule und der Massenmedien kennen.

Interview Tomáš Koloc mit Dr.Yekta Uzunoglu

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Obwohl die Tschechen solide Kenner von Geografie und Ethnografie waren, ist es möglich, dass manche Leser beim Aussprechen der Begriffe Kurden und Kurdistan verwirrt sein werden. Könnten sie in der Kurzform ihr Volk und ihr Geburtsland – seine Geschichte und die Gegenwart – vorstellen? Worin unterscheidet sich ein gewöhnlicher Kurde am meisten von einem gewöhnlichen Tschechen? Und worin von einem gewöhnlichen Türken?

Kurden sind eine indoeuropäische Nation. So wie die tschechische Sprache in den slawischen Stamm gehört, gehört die kurdische Sprache in den iranischen Stamm der indoeuropäischen Sprachfamilie. Kurdisch ist näher Tschechisch, mit dem es verwandt ist, als Türkisch, welches in die nicht verwandte türkisch-tatarische Sprachfamilie gehört. Ich nenne zwei Beispiele: in Kurdisch sagt man „Frau“ „jin“ (lies „dschin“), in Türkisch aber „kadin“. „Bruder“ ist in Kurdisch „bira“, in Türkisch „kardeş“ (lies „kardesch“). Die letzten Forschungen haben bestätigt, dass wir die Nachkommen der alten Meden sind, die die europäische Zivilisation aus alten griechischen Quellen kennt, weil Meden mit den griechischne Staaten in ständigem Kontakt waren. Kurden leben und lebten in ihrem Land schon tausende von Jahren. Die Mehrheit von Kurdistan wurde aber wegen seinen Bodenschätzen nach dem ersten Weltkrieg zwischen vier Staaten aufgeteilt: Türkei, Iran, Irak und Syrien. Die Grenzen haben in das Leben der Kurden wie ein Säbel eingegriffen. Manche Städte wurden, so wie nach dem zweiten Weltkrieg Berlin, über die Nacht geteilt, Familien und Stämme wurden gewaltsam voneinander getrennt und die Kurden haben diese Grenzen nie akzeptiert. Dieser Konflikt dauert bis heute an. Ich kenne in der Geschichte der Menschheit keine andere Nation, die im zwanzigsten Jahrhundert so oft auferstehen würde, wie im Fall der Kurden. Jeder dieser Aufstände endete mit Massaker, Genozid, trotzdem haben die Kurden Liebe zu ihrem Land, welche sich durch die Unbeugsamkeit kennzeichnet, nicht aufgegeben. Unser Reichtum ist zum Fluch geworden, gegen den wir schon mehr als ein hundert Jahre kämpfen und das fast mit blossen Händen. Wir indoeuropäische Nationen sind tausende von Jahren gemeinsame Entwicklung antiker Gesellschaft und Feudalismus gegangen. Nomaden Nationen, wie die Vorfahren heutiger Türken, sind durch diese Entwicklung nicht gegangen. Ihre Ethik ist anders und uns Kurden so weit entfernt, dass wir auch nach Jahrhunderten des Zusammenlebens Probleme haben, sie zu begreifen.

 

In ihren Memoiren führen sie auf, dass ihr kurdischer Nachnahme Geylanî ist. Wann benutzt man den kurdischen und wann den türkischen Nachnamen? Ist es ähnlich wie bei den Lausitzer Serben, die im amtlichen Verkehr ihren deutschen Nachnamen und den lausitzer Nachnamen im Verkehr mit Landsleuten nutzen? Beherrschen türkische Kurden beide Sprachen gleich gut (kurdisch und türkisch), oder gibt es auch Gebiete, wo die Türkischkenntnisse Kurden ganz fehlen?

 

Nach der Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 (welche leider in der europäischen und amerikanischer Histografie als ein moderner Staat präsentiert wurde und ihr Gründer Kemal Pascha – genannt Atatürk oder Vater der Türken – als demokratischer Politiker dargestellt wurde) hat die Unterdrückung der christlichen Kurden, Assyrer, Griechen und judaischer Juden angefangen. In diesem blutigen Prozeß der Unterdrückung wurden unter anderem auch kurdische Namen verboten, und das nicht nur Vor- und Nachnamen, sondern auch die Namen der Dörfer, Städte, Flüsse, Berge, sogar der Haustiere. Meine Geburtsstadt Farqîn, die vor unserer Zeitrechnung die Hauptstadt des Armenischen Königreiches war, und nachfolgend zwischen dem 9.-11. Jahrhundert die Hauptstadt des kurdischen Königreiches war, benannten die Türken in Silvan um. Die nichtoffizielle Hauptstadt Kurdistans Amed nannten sie Diyarbakır. Kurdische Musik, Folklore, Literatur, das alles wurde verboten, die Kurden durften in ihrer Sprache sogar nicht beten! Fast in allen kurdischen Städten wurden „Internatsschulen“ gegründet, dort haben sie gewaltsam kurdische Kinder aus den Dörfern eingesperrt und versuchten sie zu assimilieren. Diese Kinder durften während des Schuljahres das Internat nicht verlassen und mussten an jedem Morgen Lieder darüber singen, dass sie Türken sind, dass sie stolz sind, Türken zu sein und das ein Türke den Wert der ganzen Welt hat … Das war die moderne Form der Turkifikation, deren alte Form die osmanischen Türken mehrere hundert Jahre mit europäischen Kindern aus dem Balkan, der Ukraine, und Russland praktiziert haben (die Janitscher). Erst kürzlich hat der türkische Staat unter dem Druck der EU kurdische Namen der Personen erlaubt, aber nicht der Städte, Flüsse, Berge oder Tiere! Die Mehrheit der Kurden in der Türkei kann türkisch, obwohl sie oft nicht perfekt und mit kurdischem Dialekt sprechen. Es gibt aber auch Gebiete, wo vor allem die Frauen im Haushalt kein Türkisch sprechen.

Die Türkei hat im ersten Weltkrieg und danach beinah ihre drei Volksminderheiten liquidiert: Armenier, Assyrer und Griechen. Opfer waren dreieinhalb Millionen Menschen. Welche Gründe hatte der türkische Staat dazu? Was ist ihrer Meinung nach der Grund, dass er dieses Genozid bisher nicht offiziell zugegeben hat und sich dafür auch nicht entschuldigt hat?

Am Ende ihrer Existenz war das Osmanische Reich relativ weltbürgerlich. Dann aber die Franzosen, die (auf der Seite der Minderheiten) auf der einen und die Deutschen, (auf der Seite der Türken) auf der anderen Seite haben nicht nur die Intelektuellen, sondern vor allem unter den Soldaten den Nationalismus verbreitet. Die damalige osmanische Weltmacht hatte aber auch in dieser weltbürgerlicher Zeit in den Strukturen der türkischne Armee ihre nationalistische Elite. Vor dem ersten Weltkrieg haben die osmanische Armee in die Hände Berater des deutschen Preussens bekommen, geschulte Nationalisten, die nicht (nur) indirekt das Genozid der 1,5 Millionen Armenier, die sie während des ersten Weltkrieges losgeworden sind, damit sie den Rücken vor der eventuellen Gefahr schützen. Sie fürchteten den Anschluß der christlichen Minderheit an ihren Feind, das christliche Russland, wo die Armenier in einem kleinen Gebiet lebten, welches heute zur Armenischen Republik geworden ist. Nach der Niederlage kam Frankreich an die Macht, und unter ihrem stillen Einverständnis hat die durch Preussen geschulte nationalistische „Elite“, geführt durch Mustafa Kemal, das vollzuenden, was sie nicht während des Krieges geschafft hat, das heisst Massaker der Juden, Griechen, Assyrer, Kurden, kurdischen Jesiden, usw. Als ob der Westen nicht laut hören wollte, dass das Massaker der Juden in der „modernen Türkei“ zwanzig Jahre früher als in Hitlerdeutschland angefangen hat und wurde eine Inspiration für das spätere Holocaust. Ehemalige europäische faschistische Weltmächte des zweiten Weltkrieges und Japan haben nach dem Krieg dieses Spiel mit dem Ultranationalismus in ihren Kreisen reflektiert und die abscheuliche Ideologie verlassen, aber die Türkei nicht! Vielleicht ist es dadurch, dass die Kämpfe des ersten und zweiten Weltkrieges die Türkei nur am Rande berührt haben, als dass sie bis zum Schluß einsehen, was diese rassistisch-nationalistische Ideologie verursachen kann. Deswegen spielen sie dieses Spiel bis zum heutigen Tag. Die Türkei ist ein ultranationalistischer, militärisch-polizeilicher Staat. Es existiert keine einzige türkische, neonationalistische, liberale Partei, die bei der Wahl mehr als ein halbes Prozent der Stimmen hätte! Von einem solchen Staat kann man keine Entschuldigung erwarten, auch kann man nicht erwarten, dass er mit dem schleichenden Genozid aufhört.

Gibt es in der Türkei zahlreiche Minderheitsreligionen? Wie werden sie vom türkischen Staat behandelt?

Die derzeitige regierende Partei hat in die ultranationalistische Ideologie noch die sunnitische Ideologie eingebracht. In der Türkei gibt es keine Schiiten, es gibt dort sogenannte anatolische Alawiten, die mit dem Standardschiitismus nichts gemeinsam haben, außer dass sie formal als Mohammednachfolger seinen Schwiegersohn Ali anerkennen. Es sind ungefähr 16 Millionen und dabei haben sie kein Recht auf ein einziges Gebetshaus.

Aus welcher Familie stammen sie und wie sah ihre Kindheit und Jugend im türkischen Kurdistan aus?

Mein Vater war ein Anwalt und der Großvater ein Großgrundbesitzer. Meine Mutter stammte aus einer Familie, ausgebildet in Medressa, das sind traditionelle, nicht offizielle und fast illegale Schulen, wo man alles auf Kurdisch gelehrt hat. Meine beiden Omas (sowohl von der Vaters- als auch Muttersseite) waren Weise nach dem armenischen Genozid, aus dem sich meine Urgroßeltern gerettet haben. In der Familie durfte man nicht darüber sprechen. Mein Vater war innerlich ungläubig un dmeine Mutter konnte keine aktive Muslimin sein, wenn sie wusste, dass ihre Mutter Armenierin war und ihre Großeltern Opfer des Massakers geworden sind. Sie hat mich heimlich getauft und meine Patin war mein armenisches Kindermädchen, welches später die Türkei verlassen musste und lebt jetzt in der BRD. Wem und was wir glauben sollen, haben die Eltern uns überlassen. Vor etwa vierzig Jahren ist zu der staatlichen Turkifikation der Kurden die staatliche Islamisation der Kurden gekommen. Mit der Gewalt versuchen sie in Kurdistan die sunnitische Ideologie zu implantieren und in manchen Gebieten Kurdistans haben sie teilweise Erfolg. Kein islamisches Fest ist aber für Kurden heiliger, als ihr Newroz (das Fest der Frühjahrssonnenwende). Auch für schwach gläubige Kurden ist Newroz, wo alle gemeinsam tanzen und freuen sich ums Feuer, bedeutender, als islamische Feste. deswegen haben die Kurden im Rahmne des Islams ihre eigene Richtung erschaffen, die sie Schafia nennen und den türkischen Islam Hanifa.

Konnten sie eine Schule besuchen, wo der Unterricht in Kurdisch war? Wie haben sie in der Kindheit und Jugend die Tatschache gelebt, dass sie ein Kurde sind – hat es sich irgendwie an den Beziehungen mit der Umgebung, mit den türkischen Nachbarn, bemerkbar gemacht? Kann man ein genaues Datum nennen, wann der Hass des türkischen Staates gegenüber den Kurden eskaliert ist, oder ist es ein Dauerzustand?

Es ist ein Dauerzustand. In der Kindheit hatten wir keine türkischen Nachbarn. Das Türkischsein fing mit dem Schulbesuch an. Kurdische Schulen gab es nicht, durfte es nicht geben. Aus der Kindheit trage ich in mir zwei Trauma, die ich nicht vergessen kann. Mein Opa (Vater meiner Mutter) war ein mutiger und liebevoller Kurde. Er konnte kein Türkisch und trug eine kurdische Tracht, zu der ein Kopftuch gehört. Eines Tages (ich war sechs oder sieben Jahre) wollte er mich in die Stadt zum Marktplatz nehmen. Ein junger, türkischer Polizist hat uns angehalten und wollte, dass Opa sein Kopftuch (ein Zeichen des Kurden) abnimmt. Opa hat ihn nicht verstanden, der Polizist wollte ihn selbst sein Tuch abnehmen, aber Opa hat es nicht erlaubt und schubste ihn weg. Den Kurden fasst man nicht an den Kopf! Sofort waren um uns herum weitere Polizisten, haben ihm das Kopftuch heruntergerissen und führten ihn ab. Ich bin stehen geblieben und er versuchte, sich zu mir zu drehen. Ich sah, wie ihn diese Behandlung verletzt und wie er in dieser Situation Angst um mich hat. Die zweite, sehr schmerzhafte Geschichte spielte sich in der Grundschule ab, wo uns der türkische Lehrer fragte, wer von uns sind Kurden. Ich und ein paar andere haben die Hände gehoben. Er rief uns zu sich und zwang uns, dass wir die Hände mit den Fingern zu uns halten und hat uns mit einem Holzinstrument in die Finger geschlagen. Damals habe ich begriffen, dass man für das Kurdsein bestraft wird. Schon als Kinder haben wir begriffen, dass wir in der Schule und bei den Ämtern nicht sagen dürfen, dass das wir zu Hause kurdische Lieder, Erzählungen und Märchen hören.

Wie ist die geschichtliche Beziehung der Kurden zu den Nachbarnationen (Iraner, Araber, Türken, Assyrer, Armenier, Juden) und zu ihren Ländern, die oft ihre „amtliche Heimat“ sind?

Antike Nationen, wie die Juden, Armenier, Assyrer, Kurden (Meden), Iraner (Perser) haben lange nebeneinander gelebt und mit der Zeit (obwohl manchmal hart) sich zusammengelebt und die Zivilisation Levanty gegründet. Als dann anfingen von der Arabischen Halbinsel Nomaden zu kommen und aus Mittelasien turkotatarische Stämme, alles hat sich geändert. Heute leben in der Türkei nur noch ein paar Tausend Assyrer, Armenier und Griechen. In ihren Kriegen haben osmanische Sultane versucht, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch Kurden auszunutzen, aus den Eingetürkten haben sie versucht, eine Armee gegen die Armenier zu schaffen. Wahrheit ist, dass eine bestimmte (wenn gleich kleine) Anzahl der Kurden sich während des armenischen Genozides missbrauchen liess. Stämme (Abstammungen), die daran teilgenommen haben, haben sich den Armeniern wenigstens für die „Schwäche“ und Verbrechen ihrer Vorfahren entschuldigt.

Welche Beziehung haben Kurden zu ihren religiösen Minderheiten (Christen, Jesiden)? Überwiegt bei den Kurden ein religiöses oder Volkszugehörigkeitsgefühl? Könnte man knapp die grundlegenden kulturellen und politischen Unterschiede zwischen den kurdischen Minderheiten in einzelnen Ländern charakterisieren? Gibt es eine Organisation, die die politischen Interessen aller Kurden vereint und durchsetzt?

Bei den Kurden überwiegt das Volkszugehörigkeitsgefühl. In der Gegenwart gibt es im irakischen Kurdistan (also überwiegend islamische Provinz) 160 000 Christen – und das nicht nur kurdischer Christen – die hierher aus allen Teilen des Iraks kommen. Sie sind hier geschützt und die kurdische Regierung kümmert sich um sie. Kein christliches Land auf der Welt hat so viele christliche Flüchtlinge wie Kurdistan aufgenommen! In der Regierung des irakischen Kurdistans war immer mindestens ein christlicher Minister. Wir sind Kurden, egal ob Muslime, Christen oder Jesiden, ob wir in Kaukasus, Russland oder der Türkei, Iran, Irak, Syrien oder woanders leben. Die meisten Unterschiede zwischen den Kurden sind nicht durch den Staat gegeben, sondern durch das Dialekt. Kurdisch hat drei Dialekte, die nicht durch die Staatsgrenzen geteilt sind. Das größte Dialekt ist Kurmandschi, mit dem alle Kurden in Syrien, etwa 85 % der Kurden in der Türkei, etwa 50 % der Kurden in Irak, 30 % der Kurden im Iran, Kurden in Kaukasus und in Russland. 15 % der Kurden in der Türkei spricht spricht Dialekt Zazaki und der Rest der Kurden in Irak und Iran spricht Dialekt Sorani. Kurden in Iraq sind konservativ oder liberal, und die Kurden in der Türkei oder Syrien sind links orientiert, in Iran ist es halb und halb. Die Kurden sind eine Nation der 40 Millionen Menschen und sie sind eine pluralistische Nation. Es wäre absurd, dass alle an die selbe Ideologie glauben. Sie haben eine Reihe politischer Parteien, aber das, was alle verbindet, ist ein heiliger Traum vom freien Kurdistan.

Gibt es in der Türkei einen Einzelnen oder eine Gruppe, die bedeutend zur Unterstützung der Kurden auftreten, sich für sie einsetzen oder für ihre Rechte kämpfen?

Es gibt ein paar Einzelne und kleine Gruppen, vor allem Journalisten, aber für die Gesamtzahl an Türken ist es zu wenig. Millionen Türken setzen sich setzen sich dafür z.B. für Palestinenser ein. Ein ähnliches Massenengagement gilt bei weitem nicht im Falle der Kurden, Armenier, oder Assyrer.

Wann und unter welchen Umständen sind sie nach Europa und die Tschechoslowakei gekommen und womit habne sie sich damals beschäftigt?

Ich bin in die CSSR aus Frankreich gekommen, um hier an der medizinischen Fakultät zu studieren, die ich im Jahre 1979 absolviert habe. Das Stipendium hat für mich damals der in Paris lebende kurdische Prinz Kumar Bedir Chan. Während des Studiums habe ich im Jahr 1975 gegen die Husak Politik, die Saddam Hussein unterstützt hat, protestiert und mit anderen kurdischen Studenten den Hungerstreik organisiert, den wir in der schwedischer Botschaft in Prag gehalten haben. Es war ein grosses Problem, aber schliesslich haben sie mir erlaubt – obwohl mit Schwierigkeiten – die medizinische Fakultät zu beenden; praktisch nur deswegen, weil der Vater von Radek John, mein Professor Ctirad John, ein großer tschechischer Immunologe und Mikrobiologe, die ganze Zeit über mir seine schützende Hand gehalten hat.

Welche Geschehnisse und Umstände haben dazu geführt, dass sie die türkische Staatsbürgerschaft verloren haben?

Ich war der Mitbegründer des Kurdischen Instituts in Paris (damals das einzige auf der Welt) und Gründer und Direktor des Kurdischen Instituts in der BRD. Beide diese Institute waren ausschliesslich seitens der Gastgeberländer finanziert, das heisst von Frankreich und der BRD und dieser ähnlicher Akt wurde in den Augen der türkischen Regierung als das größte Verbrechen gesehen. Deswegen haben sie mir die Staatsbürgerschaft aberkannt. Die Beziehung der Türken zu Kurden, Armenier, Assyrer oder Griechen ist konstant feindlich, ob sie in ihrem Land sind oder als Minderheiten in Europa oder woanders. In Europa schützt die Kurden und andere relativ vor dem Angriff die Staatsmacht der Gastgeberländer.

Wie ist ihre persönliche Sicht auf die Wurzeln des syrischen Krieges? Syrische Kurden sind wohl die einzige Macht, die sich mit Erfolg dem Islamischen Staat stellt…

Ja, es ist wahr, dass Bashar Assad ein Diktator war, dass es in Syrien keine Demokratie gab, aber ein Kardinalfehler der USA und der EU war es, in der Sache des Absetzens von Assad auf die türkische Karte zu setzen, ohne ein eigenes Konzept zu haben. Sie haben die Türkei unterstützt, damit sie sich in den Konflikt einmischt und das Ergebnis? Etwa acht Millionen Flüchtlinge, mehr als 300 tausend Tote, fast ein ganzes Land zerstört und den Islamischen Staat am Hals! War es nicht die Türkei, die die islamischen Radikale aus Europa und USA (von wo die meisten Kämpfer des IS sind), über ihr Gebiet nach Syrien gelassen hat? War es nicht die Türkei, die den islamischen Radikalen Waffen geliefert hat? War und ist es nicht die Türkei, die mit ihnen „Geschäfte“ macht? Und ist es nicht die Türkei, die Kurden bombardiert, die die einzige wirksame Kraft ist, die gegen den IS kämpft?

Helfen türkische Kurden (und Kurden aus weiteren Ländern) irgendwie den syrischne Kurden im Kampf ums Leben mit dem Islamischen Staat?

Kurden haben nie die Grenzen akzeptiert, die Kurdistan teilen. Es ist selbstverständlich, dass in Syrien auch Kurden aus der Türkei, dem Iraq, Iran, Europa und Kaukasus kämpfen! Und es ist selbstverständlich, dass auch wir alle anderen uns bemühen, mit allen Kräften im Kampf gegen den Islamischen Staat zu helfen. Wenn die zivilisierte Welt effektiv helfen würde, müssten die unbedeutenden, ausländischen Kurden aus dem Bisschen, was sie haben, Hilfe den mutigen Kämpfern senden, die für unseren gemeinsamen Werte kämpfen.

Viele Menschen in Europa fürchten die aktuelle Flüchtlingswelle. Welchen Grund gibt es, dass die Türkei auf ihrem Gebiet Flüchtlingslager für Migranten aus den Ländern des Nahen Ostens gebaut hat? Haben sie Informationen über die Bedingungen in diesen Lagern und über die Verbundenheit der Interessen derzeitigen türkischen Regierung mit der Entstehung der Migrationswelle?

Wissen sie, die Türkei ist militärischer Polizeistaat. Er verfügt über eine halbe Million Polizisten, Wachleute und mehr als eine Million Soldaten. Ohne das wissen dieser Kräfte kann nicht mal ein Fischerboot die Türkei verlassen! Ob es in den Anrainerstädten tausende der Schmugglerbanden gibt, ohne dass es diese Sicherheitseinheiten wissen? Das ist nicht möglich. Türkische Zeitungen veröffentlichen eine Reihe Nachrichten des Typs, wie z.B. ein Betrieb stellt Rettungswesten her, die mit anderem Material gefüllt werden, als mit dem, der über Wasser halten soll, diese Westen sehen nur optisch wi eWesten aus. Und diese Tatsachen weiß auch Europa, und trotzdem lassen wir gemeinsam zu, dass hunderte oder tausende Menschen (einschl. Kinder) im Meer ertrinken! Dabei ist die Türkei kein afrikanisches oder ostasiatisches Land. Das alles geschieht vor unseren Augen, im Land eines NATO mitgliedes, eines EU Mitglidschaft Antragstellers, die (EU) den Schuldigen dieser de facto Morde gut kennt. Und die EU shcweigt dazu, lässt sich wortwörtlich erpressen. Das selbe die UNO. Am Aufhalten der Flüchtlingswelle hat kaum jemand in der EU Interesse, und somit auch kein Konzept der Lösung. Die ganze EU mit ihren Institutionen, die die Europäer jährlich mehr als 150 Milliarden Euro kostet, ist nicht fähig, eine einzige Krisensituation zu meistern. Dabei könnten diese teuer bezahlten Personen in Brüssel wissen, dass die einzige Lösung der derzeitigen Situation die Niederlage des Islamischen Staates ist. Wenn man ein Prozent dessen, was man für die Lösung des Migrationsproblems ausgibt, dn Kurden in Form von Waffen geben würde, wäre der Islamische Staat schon besiegt. Europa ist schon lange steril, nicht produktiv und die EU nicht funktionell. Ich hoffe, dass Europa in sich eine Selbstreflexion findet, wacht aus der Lethargie auf und lässt nicht zu, dass sich die ganze europäische Zivilisation zerlegt.

Viele Menschen kennen ihre Geschichte mit dem Schikanieren ihrer Person seitens der tschechischen Staatsverwaltung, niemand kennt sie aber in die Tiefe und Konsequenz. Könnten sie uns sehr knapp sagen, wo ihrer Meinung nach diese Antipathie der tschechischen Verwaltung gegenüber ihnen ihren Ursprung hat?

Die Antipathie hat damit angefangen, dass ich im Jahr 1994 zufällig erfahren habe, dass sich auf dem Gebiet der Tschechischne Republik türkische Illegalen aufhalten, die einerseits Verbindung zu bestimmten Polizeibeamten haben und anderseits zum internationalen organisierten Verbrechen. Mit diesen Informationen haben ich mich als Bürger, der die Meldepflicht kennt und verantwortlich gegenüber dem Gastgeberland ist, an den damaligen Innenminister Jan Ruml gewendet, der zufällig nicht im Amt war, so dass ich die Informationen dem Direktor seines Büros und nachfolgend dem Direktor der Ausländerpolizei Karl Freund, den ich noch aus den Zeiten der Charta 77 kannte, ohne dass ich wusste, in was für ein Wespennest ich gestochen habe. In der Untersuchungshaft Prag-Ruzyne im Oktober 1996, das heisst nach zwei Jahren Haftaufenthalt, wo ich, wie später auch das Gericht festgestellt hat, rechtswidrig festgehalten wurde, habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, was etwas bedeutet. Antipathie mancher tschechischer Staatsorgane gegenüber meiner Person eskalierte wieder ab dem Zeitpunkt, wo ich versuche den Kurden mit allen Mitteln zu helfen, die gegen den IS kämpfen. Der türkische Staat und seine Freunde in den Reihen der Staatsverwaltung versuchen mich gesellschaftlich und physisch zu liquidieren. Die Sorge um meine Nation ist meine einzige Sünde, die mich nicht verlässt.

Sie sind Arzt von Beruf, obwohl schon im Rentenalter. Haben sie immer noch ihre Praxis? Welche Aktivitäten und Pläne „bewegen“ sie derzeit?

Schon während des Studiums hat mich die Kriegschirurgie interessiert, aber nach der Rückkehr aus der Mission in Iran (im Rahmen der Ärzte ohne Grenzen) habe ich die Innenmedizin gemacht. Ich war als klinischer Arzt in Frankreich und der BRD, in Frankreich habe ich als Forscher gearbeitet. In der Gegenwart interessiert mich nur das Schicksal der Kurden, die gegen den IS kämpfen. Schon das zweite Jahr tue ich nichts anderes, als meinem Volk zu helfen, welches fast mit blossen Händen gegen den IS kämpft, und dass nicht nur für sich, sondern für gemeinsame menschliche Werte. Meine Fachkenntnisse kann ich aber geltend machen: vor ein paar Monaten habe ich von der Tschechischen Republik eine Haftentschädigung in der Höhe von etwa eineinhalb Millionen Kronen erhalten und vom tschechischen Rettungsdienst habe ich eine Tatra 815 und Volvo Amfibienrettungsfahrzeug, damit wir unsere Verletzten über den Fluß Eufrat transportieren können. Fast zeitgleich ist die Polizei aufgekreuzt und fragte, warum in meinem Garten ein Rettungsfahrzeug steht.

Sie haben mehrere Bücher mit kurdischem Folklore herausgegeben – sie lieben also Literatur. Wer ist ihr kurdischer und tschechischer Lieblingsschriftsteller?

Meine tschechischen Lieblingsschriftsteller sind Karel Capek und Vladislav Vancura. Theaterstücke von Karel Capek habe ich angefangen in die kurdische Sprache schon im ersten Jahr der medizinischen Fakultät der Karlsuniversität zu übersetzen. Mein Mitbewohner war der heutige tschechische Spitzengenetiker Prof. Dr. med. Pavel Marasek, DrSc. Damals gab es kein tschechisch-kurdisches Wörterbuch und Wörter, die ich nicht verstanden habe, versuchte Pavel mir mühsam zu erklären. Ich vergesse nicht, wie er mir, als ich Capek’s RUR nach Mitternacht im Flur des Studentenwohnheims (damit wir einen weiteren Mitbewohner nicht stören) erklärte, was „jeminacku“ bedeutet. Pavel war aus einer christlichen Familie, was ja wie damals bekannt war, kadermässig nicht das beste war, aber trotzdem haben wir noch riskiert, damit wir etwas auch für weitere Angehörige dieses Glaubens in Osteuropa machen. Ich, der in den Westen reisen konnte, von meinem Onkel, der in der BRD ein Prediger war, in die Tschechoslowakei Schwarzgut in Form von russischen Bibeln geschmuggelt habe und Pavel hat sie dann in die UdSSR geschmuggelt. Meine weiteren Lieblingsschriftsteller sind tschechische Globetrotter Jiri Hanzelka und Miroslav Zikmund, die als erste nach Karl May die Tschechen und auch fast ganz Europa mit den Begriffen Kurde und Kurdistan bekannt gemacht haben. Wir Kurden Verdanken ihnen viel. Deswegen habe ich während meines Studiums mit den beiden Herren einen persönlichen Kontakt geknüpft, der konkret mit Jiri Hanzelka zur Freundschaft geworden ist. Herr Hanzelka als Unterzeichner von Charta 77 hatte um sich herum vierundzwanzig Stunden lang Schutzengel, für die die Erscheinung eines exotisch aussehenden Kurden bei sonst relativ verlassenen Hanzelka eine Ausnahmesituation sein musste. (Herr Miroslav Zikmund wohnte in Zlin, deswegen konnte ich ihn nicht so oft besuchen, wie Herrn Hanzelka). Aufnahmen mit Herrn Hanzelka habe ich noch in meinem Archiv, und wenn der Schöpfer es zulässt, dann werde ich sie noch dieses Jahr veröffentlichen, das erstemal nach vierzig Jahren! Die Orientierung der jüngeren Generation in der Tschechischen Republik hat sich leider wie auf der ganzen Welt geändert, Hanzelka und Zikmund werden nicht mehr so viel gelesen und drum hat die Weltöffentlichkeit die Kurden und Kurdistan erst nach der Entstehung des sogenannten Islamischne Staates un dseiner Bestialität, gegen die sich Kurden mutig gestellt haben.

Mein kurdischer Lieblingsschriftsteller ist ein romantischer Dichter Cigerxwîn, der in der Nähe meines Geburtsortes geboren wurde und starb in Schweden. Den schätze ich genau so, wie weitere große Kurden wie Abdulrahmán Kasemlu, ein legendärer kurdischer Führer und einerzeit auch ein Professor an der Ökonomischen Hochschule in Prag, ein kurdischer Führer aus den Zeiten des Saddam Regimes in Iraq Mustafa Barsani und ein ehemaliger irakischer Präsident kurdischer Herkunft Celal Talabani.

Vor ein paar Tagen haben syrer Kurden ihre Vertretung in der EU eröffnet und als Sitz haben sie Prag gewählt. Ist diese Wahl ein Beweis der überstandardmässigen tschechisch-syrischer Beziehungen, und die sie sich schon ganze Jahrhunderte bemühen? Und was versprechen sie sich von dieser Tatsache als kurdischer Aktivist, der in der Tschechischen Republik lebt, für die Zukunft?

Tschechien hat bei den Kurden eine andere Bedeutung, wie z.B. Niederlande, Norwegen oder Ungarn. Legendäre kurdische Führer weilten kurz- oder langweitig in Prag. Schon im Jahre 1968 der tschechoslowakische Aussenminister Jiri Hajek (der spätere Gründer von Charte 77) hat als erster Diplomat bei der UNO die Kurdenfrage vorgetragen. Die erwähnten Jiri Hanzelka, Miroslav Zikmund, Vaclav Havel und eine ganze Reihe bedeutender tschechischen Persönlichkeiten haben sich für Kurdistan engagiert. Viele Tschechen haben bisher Kurden vielleicht nicht gekannt, aber Kurden sind eine dankbare Nation. Dadurch, dass sie sich gerade Prag ausgesucht haben, wollten die Vertreter Kurdistans eine sehr freundliche Stellung zur Tschechien. Und dass Kurden im irakischen Kurdistan (welches derzeit das einzige Kurdistan unter kurdischer Selbstverwaltung steht) immer den Vorrang tschechischen Firmen gegeben haben.

Haben sie in ihrem Herzen einen großen Wunsch für die Zukunft?

Ja, habe ich. Einen freien, demokratischen Rechtsstaat Kurdistan, der allen, die auf seinem Gebiet leben, ohne Rücksicht des Glaubens oder ethnischer Zugehörigkeit, ein würdiges, menschliches dasein.

Ich danke ihnen für das Gespräch und ihre aufopferungsvolle Arbeit! In diesem Blog veröfentlicht Dr. Uzunoglu unter anderem regelmässige Kommentare zur Situation im Nahen Osten, vor allem zu konkreten Eliminierungsaktionen der Türken gegenüber den Kurden.

http://www.kulturni-noviny.cz/nezavisle-vydavatelske-a-medialni-druzstvo/archiv/online/2016/9-2016/kdyby-eu-dala-procento-toho-co-vynaklada-na-migraci-bojujicim-kurdum-problem-s-islamskym-statem-by-byl-vyresen